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„Nehmt den Schiris die Hauptrolle weg“: Gibt es ein Schiedsrichter-Problem im Profifußball?

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Von: Harald Lange

VfL Bochum - BBorussia Dortmund Jude Bellingham und Emre Can und Schiedsrichter Sascha Stegemannorussia Dortmund
Sascha Stegemann steht derzeit ungewollt im Blickpunkt, weil er als Schiedsrichter beim Bundesligaspiel zwischen Bochum und Dortmund einen klaren Elfmeter für den BVB verweigerte. © dpa/Federico Gambarini

Am vergangenen Wochenende hat ein Schiedsrichter ein wichtiges Spiel verpfiffen. In der Bundesligapartie Bochum gegen Dortmund ging es um die Tabellenführung und gleichzeitig um wichtige Punkte im Abstiegskampf. Entschieden wurde das Spiel jedoch vom „Unparteiischen“ Sascha Stegemann, der unter anderem einen glasklaren Elfmeter übersehen hatte. Gast-Autor Harald Lange äußert sich dazu.

Das ist nicht neu, solche Fälle gehören zum Fußball dazu. Wir hoffen im Fußball auf Gerechtigkeit und Objektivität, aber wir wissen ganz genau, dass es die in diesem Sport niemals geben wird. Zumindest nicht auf einem 100-Prozent-Level.

Seit der Einführung des Videoschiedsrichters, der als VAR aus dem Kölner Keller heraus dem Schiri auf dem Platz assistiert, erwarten wir jedoch, dass solche eklatanten Fehlleistungen nicht mehr vorkommen sollten. Es passiert trotzdem regelmäßig, denn auch der Videoschiedsrichter hat ein Eigenleben und einen Ermessensspielraum, den wir immer noch nicht begreifen können. Genau deshalb macht der Videoschiedsrichter dem echten Schiri das Leben unglaublich schwer: Er schürt das Misstrauen gegenüber dem Schiedsrichter, indem er ihn permanent auf höchstem technischem Niveau kontrollieren muss und ihm gleichzeitig auch seine eigenen Fehler gekonnt in die Schuhe schieben kann.

Gibt es ein Schiedsrichter-Problem im Profifußball?

Der VAR hat den Fußball keineswegs gerechter gemacht. Die Fehler passieren nun an anderer Stelle und dem Schiedsrichter wird ein großes Stück seiner Autorität genommen. Am vergangenen Freitag hat vor allem der Videoschiedsrichter Robert Hartmann im Kölner Keller versagt. Der aus Bayern stammende Referee hatte die technischen Möglichkeiten zur Verfügung, um den Fehler - den jeder Zuschauer gesehen hat - auszuschließen. Das Gegenteil ist passiert, weshalb das Schiedsrichterwesen massiven Schaden genommen hat.

Deshalb werden seit einer Woche neue Ideen diskutiert, die die Schiedsrichterleistungen weiter objektivieren sollen. Eine Idee gefällt vor allem den Trainern gut, denn es wird erwogen ihnen eine Challenge einzuräumen. Ähnlich wie im American Football sollen Trainer die Gelegenheit bekommen, einmal pro Halbzeit so eine Challenge ins Spiel zu werfen und den Videobeweis zur Prüfung einer Szene einzufordern. Klingt unterhaltsam. Die Idee würde das Spiel noch weiter zerstückeln und das eigentliche Problem erneut verlagern.

Sascha Stegemann rückt nach dem Bundesligaspiel zwischen Bochum und Dortmund ins Schussfeld

Für mich liegt das Problem im Misstrauen, dass wir den Schiedsrichtern entgegenbringen. Daran müssen wir arbeiten. Das muss reduziert und durch Glaubwürdigkeit ersetzt werden. Alle Versuche, die Spielleitung zu objektivieren (VAR, Torlinientechnik, Trainer-Challenge, etc.), sind zwar gut gemeint, aber sie erfüllen letztlich eine ganz andere Funktion: Die Schiedsrichter werden systematisch kontrolliert und von den Nutzern dieser neuen Kontrolltechnologien bevormundet. Wir misstrauen den Schiedsrichtern und dieses Misstrauen wird durch den Einsatz weiterer Technik noch mehr vergrößert.

Es entsteht ein Teufelskreis, der in letzter Konsequenz dazu führt, dass die Schiedsrichter in den großen Spielen immer häufiger die Hauptrollen übernehmen müssen. Das geht mitunter so weit, dass – wie auch im aktuellen Fall – Schiedsrichter nach dem Spiel in Talkrunden eingeladen werden, damit sich die Öffentlichkeit entweder über die Überheblichkeit oder die Verzweiflung und Reue des Schiris unterhalten kann. Es entstehen Nebenthemen wie Morddrohungen, Polizeischutz oder Grundsatzdebatten über Respekt, Vorbildfunktionen und andere gesellschaftliche Problemlagen.

Harald Lange
Harald Lange © privat

Mit Blick auf das Bochum-Dortmund-Spiel: Alles auf dem Rücken eines einzigen Mannes, der eine Fehlentscheidung getroffen hat. Ich meine: Das ist absolut unmenschlich. Solche Fehlentscheidungen gehören zum Spiel dazu und wir sollten einen Weg finden, die Schiedsrichter aus all ihren unproduktiven Hauptrollen herauszunehmen. Sie sollen einfach nur noch Spiele leiten und von den Schiedsrichterbeobachtern objektiv und hart bewertet werden, so dass sie rasch auf- und absteigen können. 

Ansonsten sollen sie so unsichtbar wie möglich bleiben. Die Stars im Fußball sind allein die Spielerinnen und Spieler und die Hauptrollen gehören ausschließlich den 22 Männern oder Frauen auf dem Spielfeld.

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