Mehr noch: In einer internen Mail vom 22. Januar (siehe Infokasten) an den Verbandsvorstand setzte Reuß den beiden Abtrünnigen die Pistole auf die Brust: Verzichtet auf eine DFB-Kandidatur oder legt alle Ämter im HFV nieder! Laut Satzung sind beide nicht zu einer Erklärung gezwungen. Beide können nicht einfach aus dem Verband ausgeschlossen werden, sondern müssten an einem außerordentlichen Verbandstag abgewählt werden.
Das Onlineportal Torgranate hakte beim HFV nach, wollte etwa wissen, welche Argumente für die Unterstützung des Teams Neuendorf/Koch gesprochen hätten. Der HFV antworte knapp: „Über interne Vorgänge im Rahmen von Präsidiumssitzungen gibt der HFV generell keine Stellungnahme ab. Der HFV hat sich in der letzten Woche von bestimmten Aussagen von Prof. Dr. Silke Sinning und Ralf Viktora in der Zeitschrift ,Sport Bild‘ distanziert, weil sie nicht die Meinung des Verbandes widerspiegeln. Die Unterstützung von Bernd Neuendorf zur Wahl als DFB-Präsident wurde gemeinschaftlich und nach reiflicher Überlegung getroffen. Es ist eine Stärke, einheitlich als Verband aufzutreten und das wollen wir auch zukünftig tun.“
Noch haben sich nach Informationen von Torgranate weder Viktora noch Sinning gegenüber dem HFV erklärt. Beide waren nicht für für eine Stellungnahme zu erreichen
Es wurde immer deutlich, dass grundsätzlich eine Kandidatur von jedem legitim ist, aber die Rahmenbedingungen und die Art und Weise selbst dabei beachtet werden müssen und die jetzt eingetretene Situation inakzeptabel ist. Ich habe in der gestrigen Sitzung deutlich gemacht, dass die jetzige Situation eine enorme Belastung für den Hessischen Fußball-Verband darstellt und dieser medial in ein Licht gerückt wird, was weder akzeptabel, noch hingenommen werden kann.
Daher habe ich Silke Sinning und Ralf Viktora aufgezeigt, dass ich gegenwärtig nur zwei Möglichkeiten sehe, um weiteren Schaden vom und die Isolation des Verbandes im Amateurlager abzuhalten:
a.) Sie verzichten auf das Ansinnen einer Kandidatur
b.) Sie legen ihre Funktionen im Hessischen Fußball-Verband nieder
Verständlicherweise wollten sich beide dazu gestern nicht äußern. Das Präsidium hat beide daher gebeten, bis zum 31. Januar 2022 eine Erklärung dazu abzugeben.
Dass die Mails von HFV-Präsident Stefan Reuß gleich von mehreren Empfängern an unsere Redaktion weitergeleitet oder deren Existenz bestätigt worden ist, kommt nicht von ungefähr. Der Frust ist groß: die Spitze des Verbandes stellt sich gegen verdiente Funktionäre – und öffentlich mag ihr niemand widersprechen. Hinter vorgehaltener Hand wird allerdings Kritik geübt und eifrig diskutiert– vor allem über Demokratieverständnis und Meinungsfreiheit.
Denn Ralf Viktora und Silke Sinning haben sich nichts zu schulden kommen lassen. Beide haben im HFV viel Positives bewirkt, beide wollen nun im DFB etwas bewegen und beim Großreinemachen im krisengeschüttelten Dachverband an vorderster Front kämpfen. Sie sagen, dass dies nur ohne Interimspräsident Rainer Koch funktionieren kann. Sie sprechen ansonsten ausschließlich über Inhalte und haben in keiner Silbe den eigenen Verband diskreditiert. Sie äußern im „Wahlkampf“ ihre Meinung.
Sie wollen nicht für Bernd Neuendorf stimmen, sondern bei Peter Peters mitmachen. Führungskultur entsteht, wenn sich verschiedene Interessen ausgleichen. Wenn ein öffentlicher Diskurs stattfindet und geduldet ist. Hier aber entsteht der Eindruck, dass diejenigen, die abweichend handeln, nicht gewollt sind. Die Abtrünnigen täten gut daran, gar nicht auf das Ultimatum einzugehen, denn diesem fehlt jegliche statutische Grundlage. Dann sind Reuß und Vize Torsten Becker in Zugzwang. Denn einfach rausschmeißen? So leicht ist das nicht. Das entscheidet die Basis bei einem außerordentlichen Verbandstag. Und ein solcher dürfte spannend werden.
Dass sich unsere Redaktion dazu entschied, die vorliegenden Informationen durchzustechen, liegt in der Natur der Sache. Als Journalisten sind wir moralisch und ethisch dazu verpflichtet. Und hätte es dem Ansehen des HFV nicht gut zu Gesicht gestanden, solch tragfähige Nachrichten selbst der Basis, den Vereinen, den Fußballern zu erklären oder diese gar zu Rate zu ziehen, ob sie denn nun lieber Neuendorf oder Peters möchten?